Leseprobe "Das Schimmern der Sterne"

Veröffentlicht am 17. Juni 2024 um 18:06

Prolog

»Weißt du eigentlich, wie schön ich es finde, hier mit dir zu sitzen und in den Sternenhimmel zu schauen?«, breche ich lächelnd die Stille.
»Warum haben wir das nicht schon früher getan? Dieser Himmel ist einzigartig«, seufzt Elena und dreht sich zu mir.
Unsere Blicke treffen aufeinander und ich merke, wie das Kribbeln in meinem Magen wieder stärker wird. Zu gerne würde ich ihr Gesicht zwischen meine Hände nehmen und meine Gefühle endlich zulassen. Es schmerzt mit jedem Tag mehr, dass ich meine beste Freundin in meiner Nähe habe, ihr aber nicht zeigen kann, was ich für sie empfinde. Ich habe Angst, diese besondere Freundschaft zu zerstören. Ohne Elena würde in meinem Leben ein riesiger Teil fehlen. Sie macht mein Leben zu dem, was es ist. Und es wäre noch perfekter, wenn ich sie endlich küssen könnte. Aber das wird wohl weiterhin nur in meinen Träumen geschehen.
»Welche Bedeutung haben Sterne für dich?«, frage ich sie und versuche, mich nicht in ihren blauen Augen zu verlieren. Es fing vor ein paar Wochen an. Ich habe Elena immer als den wichtigsten Menschen in meinem Leben gesehen. Sie versteht mich blind, unterstützt mich täglich und kann nachvollziehen, dass ich nicht gerne zu Hause bin. Sie ist der Mensch, den ich mir in meiner Kindheit jahrelang gewünscht habe.
»Ich weiß nicht so recht, aber ich glaube, für mich bedeuten sie so etwas wie Hoffnung und Positives. Sie sind magisch«, erwidert sie und wendet ihren Blick wieder von mir ab.
Leise seufze ich und spüre, wie mein Herz sich schmerzhaft zusammenzieht. Zu gerne hätte ich mich noch länger in ihren tiefblauen Augen verloren. Vielleicht werde ich eines Tages so weit sein und meinen Gefühlen blind folgen. Gerade wirkt das unvorstellbar.
»Das klingt wunderschön. Ich glaube, ich empfinde das genauso.«
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Mein Blick gleitet kurz Richtung Himmel, an dem all die Sterne hell funkeln. Obwohl ich das Naturspiel schon immer faszinierend fand, kann ich mich heute überhaupt nicht darauf konzentrieren. In meinen Gedanken gibt es nur eine Sache: Elena. Pausenlos geistert sie durch meinen Kopf und ich stelle mir vor, wie ihre – bestimmt - weichen Lippen meine berühren und tausend Schmetterlinge durch meine Blutbahn schießen.
Unbemerkt rücke ich ein Stück näher an sie heran. Ich habe das Gefühl, die Zeit würde in diesem Moment stehenbleiben. Wir haben morgen Schule, aber das hält uns nicht davon ab, um Mitternacht unter dem Sternenhimmel zu sitzen. Ich habe nie genau darüber nachgedacht, was Sterne für mich bedeuten. Sie waren einfach da. Jetzt glaube ich, dass sie mir Hoffnung schenken. Hoffnung, dass ich Elena eines Tages küssen und für immer mit ihr zusammen sein werde. Es schmerzt, meine beste Freundin jeden Tag um mich zu haben, ohne ihr meine wahren Gefühle zeigen zu können. Entweder wir treffen uns oder wir schreiben und telefonieren miteinander.
Manchmal bin ich sogar wütend auf mich, dass ich plötzlich dieses Kribbeln im Bauch spüre, wenn Elena direkt neben mir steht oder sitzt. Wir sind seit fünf Jahren beste Freundinnen und ich habe nie daran gedacht, dass sich das ändern könnte. In ihrer Nähe schlägt mein Herz schneller, ich kann an nichts anderes mehr denken und all die Dinge um mich herum wirken plötzlich so bedeutungslos.

»Woran denkst du, Milou?«, bricht Elena das Schweigen.
Ihre weiche Stimme sorgt dafür, dass ich ein Stechen im Herzen verspüre und mir erst ein heißer, dann ein kalter Schauer durch den Körper schießt. Kurz halte ich inne. Was soll ich auf diese Frage antworten?
»Ich merke doch, dass du gedanklich ganz woanders bist. Wenn du nicht hier mit mir sitzen möchtest, können wir auch reingehen, also jeder zu sich«, schiebt sie mit etwas zittriger Stimme hinterher.
Mein Herz zieht sich zusammen und es sticht. Auf keinen Fall. Ich will sie bei mir haben, sie in meiner Nähe spüren. Obwohl wir nur zwei Häuser auseinanderwohnen, möchte ich gar nicht daran denken, wie sie in ihrem Bett liegt und seelenruhig schläft, während ich mir den Kopf zerbreche, wie ich sie lieben kann, ohne unsere Freundschaft zu zerstören.
»Nein«, hauche ich und verliere mich erneut in ihren blauen Augen.
»Dann sag mir, wo deine Gedanken gerade sind. Du weißt, dass du mir alles erzählen kannst. Es wäre so schade, wenn du den Sternenhimmel nicht mit all deinen Sinnen genießen kannst, weil eine Last schwer auf deinen Schultern sitzt.«
Wieder spüre ich ein Stechen im Herzen. Elena kennt mich einfach zu gut und normalerweise kann ich auch über alles mit ihr reden, aber eben nicht über diese Sache. Ich möchte mich innerlich ohrfeigen, dass ich ihr den Eindruck vermittle, nur körperlich anwesend zu sein.
»Es geht nicht«, flüstere ich und senke meinen Blick sofort wieder.
Auf keinen Fall soll sie die Traurigkeit in meinen Augen sehen. Umso verletzlicher ich mich ihr zeige, desto schmerzhafter wird es, sie wiederzusehen.
»Was ist los?«, fragt sie und nimmt meine Hände in ihre.
Augenblicklich beschleunigt sich mein Herzschlag. Ich habe das Gefühl, als würde mein Herz gleich aus meinem Brustkorb springen und über den Rasen hüpfen. Ich schließe meine Augen, weil ich sie nicht länger ansehen kann. Ich muss mich jetzt ausschließlich auf meine Emotionen konzentrieren. Doch diesen Kampf verliere ich schnell. Es schmerzt so sehr, Elena in meiner Nähe zu wissen, ohne dass sie diese Nähe genauso wie ich empfindet. Ich werde für sie immer ihre beste Freundin sein – nicht mehr und nicht weniger. Wir haben zwar schon oft über die Liebe gesprochen, aber seit unserem Kennenlernen war keine von uns jemals in einer Beziehung. Tränen verlassen meine Augenwinkel und rollen stumm an meinen Wangen hinab.
»Milou, sprich mit mir. Ich ertrage es nicht, wenn es dir nicht gut geht«, fleht Elena mich schon beinahe mit zitternder Stimme an.
Ich spüre, wie sie mir noch näherkommt und mit ihrem Finger über meine Wangen streicht, um die Tränen wegzuwischen. Ihr Atem wärmt mein Gesicht und heiße Wellen schießen durch meine Blutbahnen.
Meine Gefühle überfallen mich schlagartig. Plötzlich kann ich nicht mehr anders. Ich öffne die Augen wieder, nehme ihren Kopf zwischen meine Hände und setze meine Lippen auf ihre. Mein Puls schlägt viel zu schnell. Ich bilde mir ein, dass Elena den Kuss erwidert. Für einen Augenblick bin ich wunschlos glücklich. Bis ich realisiere, was ich hier gerade tue. Hastig löse ich mich von ihr. Röte schießt mir ins Gesicht.
»Scheiße«, fluche ich. »Es tut mir leid, ich wollte das nicht. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
Meine Stimme bricht ab und ich muss mich beherrschen, nicht komplett in Tränen auszubrechen. Was denkt Elena jetzt bloß von mir? Sie starrt mich einfach nur an und schweigt. Es fühlt sich an, als würde die Welt stehenbleiben. Ich bereue, dass meine Gefühle die Kontrolle übernommen haben. Messerstiche treffen mein Herz. Ich brauche irgendeine Reaktion.
»Es tut mir so leid.«
Meine Stimme zittert und ich verfluche mich, dass ich es nicht schaffe, selbstsicher zu klingen. Ich sollte meine Gefühle nicht länger verleugnen, ich sollte endlich zu ihnen stehen.
»Ich muss darüber nachdenken«, erwidert Elena stockend und wendet sich von mir ab.
Ohne ein weiteres Wort steht sie auf und geht. Nun sitze ich hier und weiß nicht, was ich denken soll. Ich habe alles zerstört und mit dieser Aktion womöglich meine beste Freundin verloren – für immer. Ich lasse meinen Kopf auf meine Knie sinken und gebe es auf, gegen die Tränen anzukämpfen. Wie Sturzbäche laufen sie mir über die Wangen. Wie soll es nun weitergehen?

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